Tübingen – zum „verlie(r)ben“ schön

Warum denn in die Ferne schweifen, wenn das Gute liegt so nah? Heute halten wir uns an Goethes Worte.

Tübingen ist gerade mal eine Stunde von uns entfernt – und trotzdem waren wir das letzte Mal vor … ja, wann eigentlich? – dort. Also beschließen wir: Es ist höchste Zeit, uns auf den Weg in die Unistadt zu machen. Das Wetter ist optimal, das Auto geladen und die Wasserflaschen sind gefüllt.

Wir gehören ja eher zur Fraktion spontan, also suche ich während der Fahrt nach einer öffentlichen Stadtführung – und werde, wie erwartet, auf der Stadtseite fündig. Faire 10 Euro pro Person, werden hier verlangt. Am liebsten würde ich auch gleich noch eine Stocherkahnfahrt buchen, aber wir entscheiden uns vorerst, bei der Stadtführung um 15:00 Uhr zu bleiben und die Stocherkahnfahrt eventuell spontan am Abend zu machen.

Wie schön, als wir ankommen haben wir noch genügend Zeit, um auf eigene Faust durch diese vibrierende und aber auch irgendwie gemütliche Stadt zu schlendern.

Unterführung am Hauptbahnhof Tübingen mit bunter Wandmalerei: Graffiti zeigt Stocherkahn, Altstadthäuser und Schriftzug „Tübingen“, modernes Stadtmotiv mit Personen im Hintergrund.
Tübingen empfängt uns schon in der Unterführung des Bahnhofs mit einem riesigen Graffiti – und natürlich darf der Stocherkahn darauf nicht fehlen. Ich bin gespannt, welche weiteren Graffitis mir in der Stadt noch begegnen.
Ein 4-stöckiges Haus ist komplett mit Graffiti bemalt in Tübingen
Und da ist auch schon das nächste Graffiti – kaum sind wir aus der Unterführung heraus, springt es mich förmlich an. Tübingen ist bunt.
EIn Haus in Tübingen mit Wandmalerei aus dem Jahr 1584
So sah „Graffiti“ wohl anno dazumal aus – kunstvoll, mit Pinsel statt Spraydose.

Tübinger Kühe und Kopfkino

Fast jede Familie hatte damals ihre eigene Kuh direkt hinterm Haus“, verrät uns die Stadtführerin später bei der Stadtführung. Und plötzlich habe ich das Kopfkino: Kuhparade durch die Neckargasse! Morgens trotten sie mit dem Kuhhirten los zum Neckar – gemächlich, vielleicht mit einem müden Muh –, abends dann zurück, satt, zufrieden wieder zurück in ihre Ställe im Hinterhof – mitten in der Stadt. Und das alles übers gute alte Kopfsteinpflaster, das damals bestimmt so manche Geschichten erzählen könnte.

Eine Frage stellt sich mir aber doch: Wie haben es die Kuhhirten geschafft, jeder Familie auch wieder die richtige Kuh zurückzubringen?
In der Gruppe kommen wir schließlich zu dem Schluss, dass die Kühe selbst ihren Heimatstall kannten. Unsere Vermutung: Wahrscheinlich war es wie bei anderen Haustieren – die finden schließlich auch allein den Weg nach Hause.

Noch ein Kopfkino: Nicht auszudenken, was da für ein Chaos entstanden wäre! Ich stelle mir vor – ich öffne morgens die Stalltür, und da steht nicht Berta, meine Lieblingskuh, sondern irgendeine wildfremde Rinderdame mit skeptischem Blick und völlig falschem Fleckenmuster. Also stapfe ich zum Nachbarn: „Du, hast du zufällig meine Kuh?“ – „Nee, ich hab hier auch nicht meine!“

Und so beginnt eine wahre Odyssee durch die Neckargasse: Überall Menschen mit fragendem Gesicht und Kühen an Stricken, die keine Lust mehr haben, weiterzugehen, weil ihnen das Futter im falschen Stall vielleicht besser geschmeckt hat. Einige Kühe muhen beleidigt, andere sind längst bei der falschen Familie eingezogen und haben sich arrangiert. Am Ende weiß keiner mehr, wem welche Kuh gehört – aber Hauptsache, alle sind gemolken.

Königliche Ausblicke

Wir schlendern weiter in Richtung Schloss, immer bergauf über das Kopfsteinpflaster – wie die Kühe.

Innenhof von Schloss Hohentübingen an einem sonnigen Tag mit klarblauem Himmel. Besucher spazieren über den weitläufigen Platz, im Vordergrund ist eine große Skulptur zu sehen. Das imposante Renaissance-Gebäude beherbergt heute Teile des Museums der Universität Tübingen (MUT) mit archäologischen und wissenschaftlichen Sammlungen. Sehenswürdigkeit in Tübingen, Baden-Württemberg.
Nur ein kurzer Abstecher in den Schlosshof. Keine Könige, keine Prinzessinnen sind hier bei Hofe – nein, das Schloss ist Teil der Universität Tübingen. Man kann hier also königlich studieren.
Bronzefigur Wildpferd in Tübingen. Es ist auch im Wappen von Tübingen zu finden.
Das bronzene Wildpferd (man findet es auch im Wappen Tübingens) steht im Schlosshof von Schloss Hohentübingen, hoch über den Dächern der Stadt. Es ist eine Nachbildung des 40.000 Jahre alten Originals aus Elfenbein. Wer mag, kann das Original im Museum hier oben bestaunen.
Vom Schlossgarten aus ein Ausblick auf Tübingen. Im Vordergrund steht ein Fachwerkhaus
Welch schöner Ausblick vom Schlossgarten. Da lohnst sich der steile Weg hier hoch.
Historische Camera Obscura im Schlossgarten des Schlosses Hohentübingen in Tübingen an einem sonnigen Tag, umgeben von Besuchern und grüner Wiese. Das optische Instrument aus dem 19. Jahrhundert wurde zur Himmels- und Landschaftsbeobachtung genutzt und gehört heute zum Museum der Universität Tübingen.
Ach, schau mal – da steht ja eine Camera Obscura! – das kleine, runde Gebäude mit dem grünen Dach. Das erinnert mich an unseren Besuch in Cádiz vor ein paar Jahren. Dort haben wir die große Camera Obscura angeschaut – ein echtes Highlight, total faszinierend!

Punktlandung

So langsam müssen wir uns aber wieder auf den Weg nach unten machen, denn vor der Stadtführung möchten wir noch etwas essen. Durch den berühmten Zufall entdecken wir ein kleines, gemütliches Lokal in der Altstadt. Eine Stunde müsste eigentlich reichen, denken wir uns, und bestellen gleich – mit dem Hinweis, dass wir einen Termin zur Stadtführung haben und es deshalb ein wenig eilig haben. Kein Problem für die Bedienung – für den Koch aber offenbar doch.

Versteckter Innenhof eines Restaurants in der Tübinger Altstadt mit skulpturalen Händehaltung, rustikaler Steinwand, gedecktem Tisch mit mediterranen Speisen – charmantes Zusammenspiel von Kunst, Kulinarik und Geschichte.
In der Langegasse 4 befindet sich ein nettes Lokal mit ganz besonderem Flair – ziemlich mediterran. Unser Essen ist sehr lecker, so richtig gemütlich essen können wir allerdings nicht, denn das Essen lässt lange auf sich warten und mit jedem Bissen rückt die Stadtführung näher. Auch das Bezahlen zieht sichwie Kaugummi – schließlich gehen wir fünf Minuten vor Beginn der Stadtführung selbst zur Theke, zahlen dort, rennen zum Treffpunkt und erreichen die Gruppe punktgenau um 15:00 Uhr.

Unser erster Stopp führt uns nur kurz über die Straße um dann am Ufer des Neckars mehr über die Geschichte Tübingens zu erfahren.

Blick auf den Hölderlinturm am Neckar in Tübingen, gelbes historisches Haus mit Turm, umgeben von Weidenbäumen und Fachwerkhäusern; im Vordergrund Stocherkähne auf dem Fluss bei sonnigem Wetter.
An Idylle kaum zu übertreffen: Wie sich die schönen Fachwerkhäuser und auch der Hölderlinturm an den Seitenarm des Neckars schmiegen, während die Stocherkähne dank ihrer kräftigen Stocherkahnfahrer ruhig dahin gleiten. Kein Wunder, dass sich schon Hölderlin genau hier so wohlfühlte.
Historisches Gebäude der Alten Burse in Tübingen mit roter Fassade, Fensterläden und Freitreppe, einst Studentenwohnheim der Universität, umgeben von Bäumen und Kopfsteinpflaster.
Die „Alte Burse“. Schon im 15. Jahrhundert waren hier die Stipendiaten ab 14 Jahren untergebracht. Heute wird sie unter anderem von der Evangelisch-Theologischen Fakultät genutzt.

Die Stadtführerin gestaltet ihre Führung mit viel Spaß und Wissen äußerst kurzweilig. Wir sehen das Schloss – ja, das hätten wir uns vorhin eigentlich sparen können. Egal, wir entdecken und erfahren trotzdem Neues. Natürlich darf auch die berühmte Stiftskirche St. Georg nicht fehlen. Dazu gibt es süffisante Geschichten über die Studierenden anno dazumal – und Erklärungen, was es mit den vielen Hinweisen „Hier war Goethe“ auf sich hat.

Unsere letzte Station der Stadtführung – das schöne historische Rathaus von Tübingen.

Historisches Rathaus Tübingen mit reich verzierter Fassade, kunstvollen Wandmalereien und astronomischer Uhr, erbaut im 15. Jahrhundert – beliebte Sehenswürdigkeit auf dem Marktplatz in der Altstadt.
Nicht nur die Malereien sind besonders – deswegen steht auch der Lastwagen mit Hebebühne davor. Die Malereien werden ausgebessert, sie zeigen Szenen aus der Geschichte Tübingens. Aber es gibt auch noch eine weiter Besonderheit. Eine astronomische Uhr, die nicht nur die Uhrzeit, sonder auch die Mondphasen, Sternzeichen, Planetenstellungen und Kalenderinformationen zeigt. Unsere Stadtführerin erklärt uns, dass sie 1511 von dem berühmten Mathematiker und Astronomen Johannes Stöffler entworfen wurde. Berühmt? – auweia, da ist wohl eine Bildungslücke bei mir.

Ich werde vermisst und überall Wasser

Der Tag ist noch jung, die Stadtführung zu Ende, und durch Tübingen kann man nicht genug schlendern. Es gibt so viel zu sehen und zu entdecken – also weiter durch die Gassen: rauf und runter, links und rechts, hin und her. Als ich wohl nach dem Empfinden Nicos nicht schnell genug aus einer kleinen Boutique – sie hatte aber auch einfach zu schöne Sachen – wieder herauskomme, gibt er eine „Suchmeldung“ bei der Verkäuferin auf – ich war ein Stockwerk tiefer, wo ich natürlich auch fündig wurde. Die kleine Läden sind aber auch einfach zu schön, um nicht darin zu stöbern, da vergisst Frau schon mal die Zeit. Von nun an passt er gut auf mich auf, damit ich nicht wieder verloren gehe.

Ein rosafarbener Plastik-Elefant steht in einem Schaufenster
Wie cool ist der den? Der muss aufs Foto. Er steht im Fenster eines Immobilienbüros – so eine Werbung bleibt auf jeden Fall im Kopf. Sofort kommt mir der Spruch: „Denke nicht an einen rosa Elefanten!“ in den Sinn

Die Ammergasse gefällt mir besonders gut mit ihren kleinen Geschäften und Cafés – aber das Schönste sind die kleinen Stege, die über die Ammer zu den Häusern führen.

Blumengeschmückte Holzstege über einem Wasserlauf in der Altstadt von Tübingen, Deutschland. Historische Fachwerkhäuser mit roten Dächern säumen die Kopfsteinpflasterstraße, während Passanten durch die Fußgängerzone schlendern.
Jedes Geländer ist mit Blumen geschmückt – wie schön.

…. und schon wieder begegnet uns die Ammer. Ich finde es einfach immer schön, wenn Wasser durch eine Stadt fließt – es ist so gemütlich. Wahrscheinlich mag ich deshalb auch Amsterdam, Bamberg und Colmar so gerne.

Romantischer Altstadtblick in Tübingen mit Fachwerkhäusern, schmalem Kanal und Straßencafé – beliebter Treffpunkt mit historischem Flair und typischer Neckaridylle im Sommer.
Hihi, wir fotografieren uns gegenseitig

Wir machen uns auf den Weg nach Hause, denn die Füße tun langsam, aber sicher weh. Das Auto ist inzwischen auch wieder voll geladen, während es auch seinem Parkplatz auf uns wartet. Die Stocherkahnfahrt verschieben wir auf den nächsten Besuch in Tübingen – wir müssen uns ja auch noch etwas übrig lassen – oder?

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1 Gedanke zu „Tübingen – zum „verlie(r)ben“ schön“

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